Geschichte
Etwa 350 Seemeilen SSW-lich von Neufundland kollidierte auf ihrer Jungfernfahrt die Titanic am 14. April 1912 um 23.40 Uhr mit einem Eisberg. Das seinerzeit größte Schiff der Welt sank innerhalb von 2 Stunden und 40 Minuten. Da die Anzahl der Rettungsboote nicht ausreichend bemessen war, konnten sich von den 2.207 an Bord befindlichen Personen nur 711 retten. Der Untergang der Titanic hatte eine grundlegende Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen auf See (u.a. die erste SOLAS-Konvention) zur Folge.
Vor der Küste Finnlands brach am 28.09.1994 nachts bei schwerer See die Bugklappe der estnischen Fähre Estonia ab. Durch Überflutung des Fahrzeugdecks kenterte das Schiff und sank innerhalb von 20 Minuten. 852 Menschen mussten sterben, 137 Menschen überlebten das Unglück.
Das italienische Kreuzfahrtschiff Costa Concordia (114.147 BRZ) fuhr am 13.01.2012 einen fahrlässigen Kurs dicht an Land nahe der Insel Giglio (vor dem Monte Argentario in Italien) und lief gegen 22:00 Uhr auf einen der Insel vorgelagerten Felsen auf, wobei der Rumpf über fast 70 m Länge aufgerissen wurde. Das Schiff kenterte anschließend in Küstennähe, die Backbordseite sowie die Aufbauten des Schiffes ragten noch aus dem Wasser. 32 Menschen wurden bei dem Unglück getötet. An Bord hatten sich zum Unglückszeitpunkt etwa 4.200 Menschen befunden. Einige Passagiere ertranken oder starben an einem Herzinfarkt, nachdem sie in Panik ins Wasser gesprungen waren. Der Kapitän Francesco Schettino verließ vorzeitig das Schiff. Am 11. Februar 2015 wurde er zu 16 Jahren Haft verurteilt.
Die drei Katastrophen sollen stellvertretend für viele Schiffunglücke genannt werden. Und bei allen gab es immer etwas zu verbessern. Nach dem Untergang der Titanic wurde 1914 die erste SOLAS (Safety Of Life At Sea) verabschiedet, die das Leben auf den Schiffen regelt. Unter anderem wurden damals zum ersten Mal ausreichend Rettungsboote für alle gefordert. Weiterhin musste jedes Schiff flächendeckend mit Bordlautsprechern ausgestattet werden. Auch regelmäßige Übungen der Crew zum besseren Handling von Notfallsituationen (in erster Linie Feuer) wurden in der Vorschrift verankert. Als Folge der Concordia-Katastrophe wurde die Durchführung der Seenot-Rettungsübung für Passagiere noch im Hafen vor dem ersten Ablegen vorgeschrieben.
Vorschriften
Basis für alle Regelungen auf dem Schiff ist die SOLAS. An Bord umgesetzt wird es durch das sogenannte SQM (Safety Quality Management). Für die Einhaltung dieser Vorschriften ist der Kapitän verantwortlich. Dabei unterstützt wird er vom Staff Captain und dem Chief Safety Officer.
Schedule
Der Chief Safety Officer stellt für jeden Monat einen Terminkalender mit allen Drills und Trainings zusammen. Der General Emergency Drill ist für alle Crewmembers. Teamtrainings machen die festgelegten Teams für sich (Hospital: Individuel Instruction Training 6). Weiterhin sind die ganzen persönlichen Trainings aufgelistet. Am Vorabend von solchen Trainings findet man auf dem Safety Board eine Teilnehmerliste der entsprechenden Trainings.
Alarmsignale
Nach dem Ertönen des General Emergency Signal begeben sich alle Mitlieder vom Team 6 in das Hospital und warten dort auf weitere Anweisungen. Die Vollständigkeit wird per Sicherheitskennzahl an die Brücke gemeldet. Die Leitung haben der Chief Safety Officer und der Staff Captain. Im Hospital wird schon mal ein Einsatz vorbereitet. Beim Drill ist das Off-Duty-Team im Einsatz, das On-Duty-Team macht die Realversorgung weiter. Wenn nun die Fire Patrols einen Verletzten im Bereich des Feuers finden wird das Team 6 alarmiert. Im Team haben wir einen Security man, der sich mit den örtlichen Gegebenheiten auskennt. Er führt uns auf sicherem Weg durchs Schiff in die sog. Staging area, den ersten Bereich außerhalb der Feuerzone, der sicher ist. Er wird vom Chief Safety Officer festgelegt. In der Staging area wird der Verletzte von der Fire Patrol übernommen, erstversorgt und ins Hospital abtransportiert. Dort wird er weiterversorgt. Die Lage auf dem Schiff wird weiter beobachtet und wenn der Captain im worst case das “abandon ship” anordnet bringt das Medical Team den Verletzten in das vorgesehene Rettungsboot zum Verlassen des Schiffes. Lifeboats und Liferafts sind nummeriert. Auf dem Schiff ist die Portside links und die Starboardsite rechts. Dabei sind auf der Starboardseite alle ungeraden Nummern und auf der Portside alle geraden Nummern. Die Sammelplätze der Crew bei den Life Rafts für Abandon ship sind ebenfalls mit Nummern nach der obigen Regel versehen. Man findet sie auch auf den Safety Cards. Der Senior Doc hat 1/1, der Junior Doc 2/1. Die entsprechenden Nurses haben 1/2 und 2/2. Damit endet dann die Übung und zur Abschlussbesprechung treffen sich alle Teamleiter auf der Brücke, wo Fehler angesprochen werden und über Verbesserung beraten wird.
Man-Over-Bord
Bei diesem Drill wird die Bergung eines Schiffbrüchigen geübt, der über Bord gegangen ist. Nach Eingang der Notfallmeldung (das Codewort ist Oskar) werden die aktuellen Koordinaten der Schiffsposition auf der Brücke festgehalten. Einem so großen Schiff ist es natürlich nicht möglich, aufgrund der mächtigen Trägheit auf der Stelle stehen zu bleiben. Nach Abstoppen wird der “Rückwärtsgang” eingelegt und das Schiff fährt im großen Bogen zum festgelegten Punkt zurück. Wenn man Glück hat findet man den Schiffbrüchigen, der dann mit dem Rettungsboot geborgen wird. Der Senior Doc fährt zur Erstversorgung mit dem Rettungsboot raus, der Junior Doc wartet mit den Nurses und dem Stretcherteam an Bord — bei normalem Seegang an der Shelldoor, bei starkem Seegang auf dem Bootsdeck. Die Mannschaft des Rettungsbootes und insbesondere die, die dann vielleicht zur Rettung ins kalte Wasser müssen. sind mit einem entsprechenden Schutzanzug ausgestattet. Die Wahrscheinlichkeit, einen über Bord gegangenen Menschen wiederzufinden und zu retten, ist gering, aber nicht unmöglich. Je nach Dauer im kalten Wasser ist die größte medizinische Gefahrenquelle die Hypothermie.
Bombenalarm
Bei diesem Drill wird eine vermutete Bombe gesucht. Unterstützt wird der Captain dabei vom Staff Capatin und dem Chief Security Officer. Der Alarmcode ist “Delta”. Jedes Department erhält in einem verschlossenen Umschlag, den der Head of Department auf der Brücke abholt, die Auflistung der Zonen, die durch das Team durchsucht werden sollen. Danach werden vom Team die zugeordneten Bereiche auf Bomben überprüft. Bei Auffälligkeiten wird sofort an die Brücke (nicht über Funk, ausschließlich über das Festnetz) gemeldet. Nach Abschluss der Inspektion und keinen Auffälligkeiten wird ebenfalls an die Brücke auf beschriebenem Weg gemeldet.
“Königs”-Drill
Einmal im Vierteljahr wird der sog. Mass casualty incident (MCI) geübt — Übungsszenario ist einer besonders schwere Lage (z.B. Brand im Theater mit 700 Gästen) mit mehr als 6 Verletzten. Der Junior Doc eröffnet mit den Nurses das vorbereitete Secondary hospital, wo man alle Verletzte und Tote hinbringt. In der Staging area am Unfallort wird durch den Senior Doc eine Triage nach dem START system (Simple Triage and Rapid Treatment) durchgeführt.
Folgende Kategorien werden unterschieden:
Immediate
- Patienten, die große lebensbedrohliche Verletzungen haben, aber angesichts der verfügbaren Ressourcen gerettet werden können.
Delayed
- Patienten, die nicht lebensbedrohliche Verletzungen haben, aber nicht in der Lage sind zu gehen oder einen veränderten psychischen Zustand zeigen
“Walking Wounded”
- Patienten, die in der Lage sind, aus dem Unfallbereich zu einem Behandlungsbereich zu gelangen
Deceased or Expectant
- Wird für Opfer verwendet, die tot sind oder deren Verletzungen das Überleben unwahrscheinlich machen.
Behandlung vor Ort wird nur durchgeführt bei:
- Atemwegsmanöver
- Tourniquets für lebensbedrohliche Blutungen
- Nadel-Dekompression bei Spannungspneumothorax
Das Stretcherteam wird beim Transport in das Secondary hospital von Kräften aus dem Housekeeping verstärkt. Im Secondary hospital werden Zonen ( rot — gelb — grün — schwarz entsprechend der Triage) eingerichtet und Sonnenliegen aufgestellt. Der Junior Doc und die Schwestern sind im Secondary hospital für die Versorgung zuständig. Nach Beendigung der Triage kommt der Senior Doc als Verstärkung dazu. In der Folge wird der Abtransport in geeignete Krankenhäuser organisiert. Mitten auf See ist das dann besonders schwierig und in kurzer Zeit gar nicht möglich. Die Luftrettung ist hier die einzige Möglichkeit, die Kapazitäten sind aber eingeschränkt.
First Aid Training
Jedes neue Crewmitglied wird in den ersten Tagen in der Ersten Hilfe unterwiesen. Das SQM fordert bestimmte Inhalte. Theoretisch werden unter anderem Notfallnummern, Alarmierungswege, Örtlichkeiten von Rettungsmittel (z.B. AED) und Notfalltelefonen sowie verschiedene Notfallszenarien (was ist wenn und Maßnahmen) vorgestellt. Danach wird praktisch die stabile Seitenlage und die Herzdruckmassage geübt. Am Ende müssen alle Teilnehmer einen Test ausfüllen.
Schicksale
Trotz allen Vorsichtsmaßnahmen passieren gerade auf den Schiffen bei Übungen auch mal sehr schlimme Dinge — auch mit tödlichem Ausgang.
Beim Herunterlassen des Rettungsbootes ist der Haltearm gebrochen und das Boot ist in die Tiefe gestürzt. Der Matrose, der sich auf dem Boot befand und auch mit Leine gesichert war ist beim Aufschlag zwischen die Bordwände von Schiff und Rettungsboot gekommen und wurde zerquetscht.