Am Ende eines jeden Jahres veröffentlicht der BKK Dachverband den Gesundheitsbericht der BKK vom vorherigen Jahr. Jeder Gesundheitsbericht hat auch ein Motto (2022: Pflege — ein Pflegefall?; 2021: Krise, Wandel, Aufbruch; 2020: Mobilität, Arbeit, Gesundheit; 2019: Psychische Gesundheit und Arbeit; 2018: Arbeit und Gesundheit Generation 50+; 2017: Digitale Arbeit — digitale Gesundheit; 2016: Gesundheit und Arbeit), wo wichtige und neue Sparten der Gesundheitspolitik betrachtet werden. Die Berichte findet man beim BKK Dachverband auf der Website. Ein wichtiger Part ist die Auswertung der Arbeitsunfähigkeitszahlen von Erwerbstätigen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten, auf die ich in diesem Beitrag eingehen möchte. Gleichzeitig möchte ich über Ansätze sprechen, die zur Verbesserung beitragen könnten.
AU-Fälle und AU-Tage insgesamt

Die AU — Fallzahlen haben in den letzten beiden Jahren abgenommen, während die AU-Tage pro Beschäftigtem zugelegt haben. Sicherlich hat darauf auch die Corona-Pandemie einen Einfluss gehabt.


Das Muster bei der Altersverteilung der Krankheitsfälle und der Krankheitstage ist in den letzten Jahren gleich geblieben. In Werten sind die Fallzahlen 2020 gestiegen, während die Krankheitstage gleich geblieben sind. Auch hier mag die Coronapandemie ursächlich beteiligt sein. Bemerkenswert ist, dass die Fallzahlen bei < 20 — Jährigen mehr als doppelt so hoch sind als in den Gruppen ab 25 Jährigen aufwärts. Über die Ursachen muss man diskutieren. Frauen liegen in allen Altergruppen bei Fallzahlen und Krankheitstagen höher als Männer.



Anzahl und Tage der über 6 Wochen Erkrankten hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, während die Krankheitsfälle in den anderen Sparten stabil geblieben oder eher rückläufig sind. Die Krankheitstage pro Fall und insgesamt bei psychischen Erkrankungen haben deutlich zugelegt und sind auch Grund für die Veränderung in dieser Statistik.
AU-Fälle und AU-Tage der drei wichtigsten Diagnosen



Bei der Altersverteilung der drei wichtigsten Diagnosen haben wir in den letzten Jahren ebenfalls ein gleiches Muster. Während bei Muskel-Skelett-Systemerkrankungen die Männer mehr betroffen sind liegen bei den beiden anderen Diagnosen und insbesondere bei den psychischen Erkrankungen die Frauen vorne. Bei den Atemwegserkrankungen haben gerade junge Leute unter 25 Jahren deutlich mehr Fälle als die Älteren. bei allen Diagnosen steigt die Krankheitsrate zum Ende des Arbeitslebens deutlich an, der Abfall bei > 65 — Jährigen liegt an der deutlich geringen Zahl der Beschäftigten in dieser Altersgruppe.
Verteilung der Krankheitsdiagnosen bei Arbeitsunfähigkeit

Bei der Verteilung der Krankheitsdignosen, die die Arbeitsunfähigkeit bedingt haben, werden die vier wichtigsten Diagnosen herausgenommen und der Rest als “sonstige” zusammengefasst.




Die Atemwegserkrankungen haben 2021 gegenüber den letzten beiden Jahren deutlich abgenommen, was unter anderem auch an den milderen Verläufen der Coronainfektionen nach Impfung liegt. Die psychischen Erkrankungen haben in den Fallzahlen etwas abgenommen, während sich die durchschnittliche Krankheitsdauer erhöht hat. Krankheitsfälle und ‑dauer bei Muskel-Skelett-Erkrankungen sind gleich geblieben.

Eine Statistik der Technikerkrankenkasse beobachtet in ihrem Klientel das gleiche Verhalten.
Jahresverlauf bei der Arbeitsunfähigkeit


Die Verläufe der AU-Zeiten im Jahr mit Schwerpunkten im Frühjahr und im Spätherbst sind ursächlich durch Infektionswellen bestimmt. Während 2017 bis 2019 hier Influenzawellen das Geschehen bestimmt haben war 2020 die Coronainfektion der Auslöser. Durch die eingeführten Hygieneregeln mit Maskenpflicht und Abstand halten fand die Influenza in den Coronajahren nicht statt. Das sieht man auch gut am Verlauf der Zahlen im Frühjahr 2021, wo die Corona-Impfung schon schwere Erkrankungen verhinderte und die Influenzainfektion durch die Hygieneregeln verhindert wurde. Dass das nicht nur Vorteile hatte beweisen die Zahlen im Spätherbst 2022. Durch die massiven Schutzmaßnahmen wurde unser Immunsystem von Infektionserregern abgeschottet und konnte seine Schutzfunktion nicht ausbilden. Mit der Lockerung der Maßnahmen kommt es nun zu deutlich mehr und deutlich schweren Verläufen von Influenza und grippalen Infekten. Es dauert wieder seine Zeit, bis unser Immunsystem die Wirksamkeit von vor der Pandemie wiedererlangt. Jede Medaille hat ihre zwei Seiten.
Besonderheit in Pflegeberufen

Wie die Grafik schön zeigt liegen die Arbeitsunfähigkeitszahlen in Kranken- und Altenpflegebereichen deutlich über dem Rest der Beschäftigten. Hauptdiagnosen sind Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Störungen, was ursächlich mit den Arbeitsbedingungen zu tun hat. Die Gründe dafür sind vielfältig und es ist gut, dass die BKK dieses Thema in diesem Jahr zu Kernthema gemacht hat. Es besteht dringender Hilfebedarf. Während in Klinik- und Krankenhausbereichen durch Übernahmen von Konzernen wie Asklepios, RhönKliniken und vielen anderen der wirtschaftliche Aspekt mit Gewinnoptimierung in den Vordergrund gerückt und die Patientenversorgung eher sekundär geworden ist hat der Altenpflegebereich durch die Veränderung der Familienstruturen weg vom 3‑Generationen-Haus enorm an Bedeutung gewonnen. Die Gelder der Pflegeversicherung und die Rente der alten Menschen reichen in vielen Fällen nicht aus, um die wirtschaftlich erforderlichen Kosten zu decken, die die Pflegeinstitutionen den “Kunden” in Rechnung stellen müssen. Daraus resultierende schlechte Bezahlung der Beschäftigten führt dann zu einem Personalmangel mit Überlastung der Verbliebenen.
Beziehung zwischen Bildungsgrad und Arbeitsunfähigkeit
Die Techniker Krankenkasse hat bei ihrer Betrachtung der Arbeitsunfähigkeitszahlen auch nach den Kriterien Schulbildung und Berufsausbildung ausgewertet.


Es verwundert nicht, dass die Arbeitsunfähigkeitszahlen umgekehrt proportional zum Bildungsstand verlaufen. In unserer Leistungsgesellschaft erfahren Menschen mit niedriger Bildung geringe bis keine Wertschätzung. Das führt zu Arbeitsverweigerung und oftmals zu einem Abrutschen in ein kriminelles Milieu. Im Artikel 1 unseres Grundgesetzes steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Häufig kann ich das in unserer Gesellschaft nicht mehr erkennen. Würde hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun und dazu bedarf es einer erheblichen Portion an Demut, was vielen Menschen verloren gegangen ist. Auf der anderen Seite ist aber auch Eigenverantwortung gefragt. Man sollte nicht immer nur andere für sein persönliches Schicksal verantwortlich machen. Wenn beide Seiten das behelligen hätten wir eine gute Chance, aus dieser Problematik im Guten herauszukommen.
Fazit
Das Problem Coronapandemie wird sich sicherlich irgendwann von selbst lösen. Der Dorn in den Menschen durch eine Unmenge von Hypothesen an Schwarzmalerei aus allen Bereichen von Gesundheit und Politik, von denen sich die meisten nicht bestätigen und einfach im Raum stehen bleiben, sitzt tief. Das Ganze hat die Menschen in zwei Lager gespalten, was die Problemlösung noch schwerer macht. Betrieblich gesehen kann man das wenig beeinflussen, das muss die Politik und die Gesellschaft lösen. Daher konzentrieren wir uns auf die Probleme, die man betrieblich angehen kann. Das sind die Muskel-Skelett-Erkrankungen und die psychischen Störungen der Mitarbeiter, die weiterhin ursächlich bei der Arbeitsunfähigkeit die führende Rolle spielen.
1. Ergonomie und Muskel-Skelett-Erkrankungen
Muskel-Skelett-Erkrankungen spielen sich in der Mehrzahl der Fälle in der Wirbelsäule (HWS, LWS) ab. Durch monotone Tätigkeiten in der Produktion, aber auch an Büroarbeitsplätzen kommt es im Wirbelsäulenbereich durch Überlastung der kleinen Haltemuskeln zur mangelhaften Entlastung der Bandscheiben, die für deren Ernährung wesentlich ist. Dadurch degenerieren Bandscheiben und führen zu Bandscheibenvorfällen mit Kompression der Rückenmarksnerven an dieser Stelle, was zu Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und schlussendlich auch zu Muskellähmungen führt. Das gilt es zu verhindern.


Ergonomische Veränderungen an den Arbeitslätzen sind für die Prävention enorm wichtig. In großen Unternehmen gibt es eine Abteilung, die mittels eines Programmes “ErgoCheck” die Ergonomie aller Arbeitsplätze überprüft und anpasst. Von der BAuA werden für mittelständische Unternehmen Programme wie die Leitmerkmalmethode zur Verfügung gestellt, die bei der Ergonomiebewertung der Arbeitsplätze helfen. Auf meiner Website findet man unter Ergonomie weitere Informationen.
2. psychische Erkrankungen durch psychische Belastung am Arbeitsplatz
Efficiency ist das Zauberwort in der modernen Industrie — kurz gesagt: immer mehr durch immer weniger. Menschen sind durchaus in der Lage, aufgrund kurzzeitiger Erforderlichkeit Leistungen über ihr Limit hinaus zu erbringen. Danach muss es aber wieder Zeiten mit normaler Belastung und Ruhephasen geben. Das ist heutzutage aber eher die Ausnahme. Durch Arbeitsverdichtung und sehr häufigem Wechsel der Arbeitssituation (ChangeManagement) bekommen immer mehr Menschen das Gefühl, der Situation nicht mehr gewachsen zu sein und fallen psychisch krank aus. Richard Lazarus hat mit seinem Stressmodell den Prozess der psychischen Dekompensation beschrieben und Wege daraus aufgezeigt.




Wie die letzte Grafik schön zeigt führen erst mangelnde Ressourcen zu Stress mit psychischer Dekompensation. Zur Kompensation und Stressbewältigung gehört die Stärkung der Ressourcen. Externe Ressourcen sind Tätigkeits‑, Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Zu den persönlichen Ressourcen gehören Gesundheit, Qualifikation, Anlagen, Persönlichkeitseigenschaften und Erfahrung. Um Probleme im Betrieb herauszufinden hat der Gesetzgeber den Unternehmen die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung verordnet. Ein gängiges Verfahren zum Screening ist das Impulsverfahren, was hier nicht weiter erläutert wird. Sind Auffälligkeiten vorhanden empfiehlt sich das ASITA-Verfahren. Weitere Informationen findet man auf meiner Website unter Leadership.
3. Führung
Viele Mitarbeiterbefragungen in Großkonzernen mit vielfältiger Auswertung zeigen unter anderem, dass der Gesundheitsindex mit dem Managementindex korrieliert. GI und MI in den Abteilungen verlaufen proportional. “Ein wahrer Leader ist meistens nicht die Person in einer Gruppe, die am meisten spricht. Es ist die Person, die am besten zuhört. Und Zuhören bedeutet nicht nur zu hören, was gesagt wird, sondern auch das zu sehen, was nicht gesagt wird.” Es beschreibt sehr schön die Qualität, die eine Führungskraft essentiell besitzen muss.

Jedes Unternehmen, was erfolgreich sein will, unterliegt einem häufigen Wechsel von Prozessen, die das Unternehmen von einer gegebenen Ebene in eine höhere Ebene bringen soll. “Panta rhei — alles fließt” wäre zu einfach. Das Gesamtsystem wird beim Change Management verändert, wo alle erforderlichen Einzelveränderungen letztendlich einfließen und ein sinnvolles Ganzes bilden. Und vor jedem ChangeManagement muss man das Ziel genau definieren, wo man hin will, um besser zu werden. Im Change House werden die dabei auftretenden Problematiken sehr schön beschrieben und es liegt nun an den Führungskräften, diese “Unebenheiten” zu erkennen und den Mannschaftsbus auf Kurs zu halten. Ansonsten verweigern sich die Mitarbeiter und werden krank. Unter Leadership auf meiner Homepage findet man dazu mehr.