Jeder Arbeitgeber muss für seine Beschäftigten eine Unfallversicherung bei der Berufsgenossenschaft abschließen und trägt dafür die kompletten Kosten. Geregelt wird das im
Siebten Buch Sozialgesetzbuch — Gesetzliche Unfallversicherung — (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254).
Leistungen unterschiedlichster Art aus dieser Versicherung erhält jeder Versicherte, der einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erleidet. In dieser Abhandlung geht es um das Thema Arbeitsunfall.
Gesetz: § 8 Sozialgesetzbuch VII
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte
Versicherte Tätigkeiten sind auch
- das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
- das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
- Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
- mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
- das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
- das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
- das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
- das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.
Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.
Prüfschema
- Versicherte Person
- Grundsätzlich versicherte Tätigkeit
- Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses
- Sachlicher bzw. innerer Zusammenhang zwischen 2. und 3.
- Unfallereignis
- Unfallkausalität (kausaler Zusammenhang zwischen 2. bis 4. und 5.)
- Gesundheits(erst-)schaden (oder Tod)
- Haftungsbegründende Kausalität (kausaler Zusammenhang zwischen 5. u. 7.)
Häufig gibt es Unklarheiten bei der Bewertung verschiedener Punkte im Schema.
Was ist eine versicherte Tätigkeit?
Nach Jung (Haufe-Verlag) ist Ausgangspunkt zur Beurteilung des sachlichen Zusammenhangs der von einem Versicherten zur Zeit des Unfalls ausgeübten Verrichtung mit seiner grundsätzlich versicherten Tätigkeit bei einem Beschäftigten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 das dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegende Arbeitsverhältnis. Grundlage des Arbeitsverhältnises ist der Arbeitsvertrag, auf dem es beruht. Da ein Arbeitsvertrag grundsätzlich formfrei abgeschlossen werden kann, kann sich sein Inhalt auch aus mündlichen Abreden ergeben (BSG, Urteil v. 30.6.2009, B 2 U 22/08 R).
An anderer Stelle wird auch von anderen Arbeiten gesprochen, die im Sinne des Arbeitgebers am Arbeitsplatz verrichtet werden (z.B. Schneeräumen auf dem Betriebsgelände, Entfernen von Eiszapfen an der Dachrinne, etc.). Auf jeden Fall sollte in solchen Fällen eine Beauftragung durch den Arbeitgeber vorliegen und eine gewisse Eignung der beauftragten Mitarbeiter vorhanden sein. Juristisch sind diese Fälle aber unsauber und immer diskutierbar. Weiterhin gehören Wegeunfälle in beschriebener Form, Betriebssport, Gemeinschaftsveranstaltungen sowie Befördern und Reparieren von Arbeitsgeräten zur versicherten Tätigkeit. Unfälle im Homeoffice werden nur dann anerkannt, wenn der Versicherte zweifelsfrei den Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit nachweisen kann.
- Der Ursachenzusammenhang zwischen der unfallbringenden versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis wird als Unfallkausalität bezeichnet.
- Der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheits-(erst)schaden oder dem Tod des Versicherten bezeichnet man als haftungsbegründende Kausalität.
- Der Kausalzusammenhang zwischen dem Gesundheitsschaden und dem Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen wird als haftungsausfüllende Kausalität bezeichnet.
Nun kann es sein, dass ein Unfallereignis auf eine vorgegebene Krankheitslage trifft wie zum Beispiel eine Achillessehnenruptur bei vorgeschädigter Achillessehne. Man bewertet dann zwischen wesentlicher oder nicht wesentlicher Gelegenheitsursache
In einer Kommentierung von Jung (Haufe-Verlag) wird Folgendes beschrieben:
“Eine Ursache im naturwissenschaftlichen Sinne, die jedoch nach obigen Grundsätzen nicht rechtlich wesentlich ist, wird verschiedentlich als Gelegenheitsursache oder als Auslöser bezeichnet. Dies geschieht insbesondere dann, wenn bei dem Betreffenden eine äußere Einwirkung in Gestalt eines Unfallereignisses und eine bereits zuvor vorhandene Krankheitsanlage festgestellt werden. Sowohl die äußere Einwirkung als auch die Krankheitsanlage als innere Ursache sind in Bezug auf den anschließend eingetretenen Körperschaden Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinne.”
Als Beispiele nennt er:
- Der Riss der Achillessehne kann auf die Degeneration der Sehne und/oder auf eine plötzliche Kraftanstrengung bei der versicherten Tätigkeit zurückzuführen sein.
- Die Hirnblutung und die darauf zurückzuführenden Folgeschäden können ihre Ursache in einer plötzlichen Kraftanstrengung und/oder dem Platzen eines Aneurysmas (Gefäßerweiterung eines Blutgefäßes) haben.
- Die psychische Erkrankung kann auf den Verkehrsunfall und/oder auf eine vorher bereits bestehende “stumme” Krankheitsanlage zurückzuführen sein.
In solchen Fällen ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 9.5.2006, B 2 U 1/05 R; Urteil v. 12.4.2005, B 2 U 27/04 R; Urteil v. 27.10.1987, 2 RU 35/87) darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar war, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Folgeerscheinung ausgelöst hätte. Dies bedeutet, dass im Rahmen der wertenden Betrachtung ein – in Wirklichkeit nicht stattgefundenes – alltägliches Ereignis in die Überlegungen einbezogen wird. Das bedeutet aber nicht, dass das Unfallereignis selbst von alltäglicher Art gewesen sein müsste. Das Unfallereignis kann durchaus außerordentlich gravierend gewesen sein. Entscheidend ist die “Ansprechbarkeit” der Krankheitsanlage durch ein alltägliches Austauschereignis. Dies wird oftmals missverstanden. (Jung, Haufe-Verlag)
Wenn folgende Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, dann wäre es nicht als Arbeitsunfall zu werten:
- War die Achillessehne so stark degeneriert, dass sie in naher Zukunft genauso gut beim normalen Gehen hätte reißen können?
- Hätte das Aneurysma bei einer alltäglichen Kraftanstrengung (z. B. beim Anheben einer Aktentasche, eines Getränkekastens) oder gar im Schlaf reißen und zu der Blutung führen können?
- War die vorbestehende psychische Erkrankung so geartet, dass ein alltägliches Ereignis jederzeit ebenso gut hätte zum Auftreten akuter Krankheitserscheinungen führen können wie das tatsächlich stattgefundene Unfallereignis?
Hilfreich bei der Bewertung im Nachhinein ist zum Beispiel bei Operation eine Histologie (mikroskopische Gewebeuntersuchung) der verletzten Struktur (z.B. Achillessehne, Meniskus, Kreuzband, Bandscheibe, etc.), die den Grad der Schädigung angibt.
Jeder Arbeitsunfall, der bei Bewertung als solcher festgestellt wird, ist ab dem dritten krankheitsbedingten Fehltag bei der Berufsgenossenschaft mit einer Unfallanzeige zu melden
Durchgangsärzte sind besonders qualifiziert für die Behandlung von Unfallverletzten. Die Vorstellung bei einem Durchgangsarzt ist erforderlich, wenn
- die Unfallverletzung über den Unfalltag hinaus zur Arbeitsunfähigkeit führt,
oder - die notwendige ärztliche Behandlung voraussichtlich über eine Woche andauert,
oder - Heil- und Hilfsmittel zu verordnen sind,
oder - es sich um eine Wiedererkrankung aufgrund von Unfallfolgen handelt.
Eine als pdf elektronisch mit dem Acrobat Reader ausfüllbare Unfallanzeige findet man auf der Website der DGUV (https://www.dguv.de/medien/formtexte/unternehmer/u_1000/u1000.pdf)
Abschließend bleibt festzuhalten, dass jedem Arbeitgeber zu empfehlen ist, das Prüfschema bei Arbeitsunfällen gewissenhaft abzuarbeiten. Arbeitsunfälle führen zu Beitragszuschlägen. Sollten bei der Bewertung Unsicherheiten auftreten, die nicht klar zu eruieren sind, sollte immer im Sinne des Mitarbeiters entschieden werden. Über allem steht aber die Prävention zur Unfallvermeidung.