Ergonomie


Grundlagen der Medizin und Physik

Die Ergo­no­mie (von alt­grie­chisch ἔργον ergon, deutsch ‚Arbeit‘, ‚Werk‘, und νόμος nomos, deutsch ‚Regel‘, ‚Gesetz‘) ist die Wis­sen­schaft von der Gesetz­mä­ßig­keit mensch­li­cher bzw. auto­ma­ti­sier­ter Arbeit.

Der Mensch muss sich bewe­gen, um leben zu kön­nen. Dafür hat er den soge­nann­ten Bewe­gungs­ap­pa­rat. Haupt­ele­men­te des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes sind Kno­chen, Mus­keln, Seh­nen und Gelen­ke. Im Zusam­men­spiel die­ser Ele­men­te unter Steue­rung des Gehirns über die Ner­ven­bah­nen wird Gehen, Bücken, Heben, Grei­fen, Dre­hen und eini­ges mehr erst mög­lich. Nun sind alle die­se Ele­men­te natur­ge­mäß dem Alte­rungs­pro­zess unter­wor­fen. Die Osteo­po­ro­se setzt den Kno­chen zu. Die Mus­keln bau­en mit zuneh­men­dem Alter ab und ab dem 50. Lebens­jahr muss die Inten­si­tät des Mus­kel­trai­nings stei­gen, um den Mus­kel­um­fang zu erhal­ten. Die Seh­nen wer­den sprö­de und kön­nen eher rei­ßen (Bei­spiel: Achil­les­seh­ne). Letzt­end­lich ver­än­dern sich auch die Gelen­ke, indem die Knor­pel­sub­stanz zurück­geht und es zur Aus­bil­dung einer Arthro­se kommt.  Das macht sich beson­ders an stark belas­te­ten Gelen­ken wie Hüft­ge­lenk, Knie­ge­lenk, Schul­ter­ge­lenk und Wir­bel­ge­len­ke der Hals- und Len­den­wir­bel­säu­le bemerk­bar. Neben die­sem Alte­rungs­pro­zess, den man nur gering­gra­dig mit Ver­hal­ten und Trai­ning auf­hal­ten kann, kom­men noch die Belas­tun­gen im Arbeits­le­ben dazu. Durch unter­schied­li­che Geset­ze und Ver­ord­nun­gen sind Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet, im Rah­men der Arbeits­platz­ge­stal­tung auf eine ergo­no­mi­sche Aus­rich­tung zu ach­ten und wei­ter­hin Prä­ven­ti­v­an­ge­bo­te im Rah­men des betrieb­li­chen Gesund­heits­ma­nage­ments zu machen. Nicht zuletzt ach­tet man auch im Rah­men des betrieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments dar­auf, dass Men­schen mit Han­di­cap nicht noch mehr belas­tet wer­den, son­dern einen Arbeits­platz mit indi­vi­du­ell ange­pass­ter Belas­tung bekom­men, sofern es sol­che Arbeits­plät­ze gibt bzw. man Arbeits­plät­ze mit staat­li­cher Hil­fe durch das Inte­gra­ti­ons­amt oder den Inte­gra­ti­ons­fach­dienst ent­spre­chend aus­stat­ten kann. Die­se Hil­fe kön­nen Men­schen mit Schwer­be­hin­de­rung (>50 % GdB) oder Gleich­stel­lung (>30 % GdB auf Antrag beim Amt für Arbeit) in Anspruch neh­men. An die­ser Stel­le wol­len wir uns nun aber mit der ergo­no­mi­schen Ein­rich­tung von unter­schied­li­chen Arbeits­plät­zen beschäftigen.

Zunächst müs­sen wir erst ein­mal klä­ren, was eine ergo­no­mi­sche Hal­tung beim Bedie­nen ver­schie­de­ner Arbeits­plät­ze ist. Ziel muss es sein, die oben ange­spro­che­nen Struk­tu­ren Kno­chen, Mus­keln, Gelen­ke und Seh­nen so gering wie mög­lich zu belas­ten. Dabei wird Last und Zeit betrach­tet. Das Pro­dukt die­ser bei­den Grö­ßen ergibt die Belas­tung. Wei­ter­hin muss auf eine ergo­no­misch güns­ti­ge Stel­lung des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes geach­tet werden.


Was ist ergonomisch günstig?

Haupt­ach­sen, Haupt­ebe­nen und Neutral-Null-Stellung

Schwe­re­lot und Gesamtkörperschwerpunkt

Die Abbil­dung zeigt die „Nor­mal-Null-Stel­lung“ des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes. In die­ser Stel­lung sind alle Struk­tu­ren nur der Gra­vi­ta­ti­on aus­ge­setzt. Die Last bzw. Kraft, die auf die Struk­tu­ren wirkt, ist natür­lich auch noch abhän­gig von der Kör­per­mas­se (Gra­vi­ta­ti­ons­kraft = Mas­se mal Erdbeschleunigung).

Hebel­ge­set­ze

Ana­to­mie und Hebelgesetze

Belas­tung der Wirbelsäule

Hebel­ver­hält­nis­se M. biceps brachii

Wenn ich nun zum Bei­spiel etwas Heben will, dann muss ich mit der Mus­ku­la­tur eine Kraft auf­brin­gen, die von unter­schied­li­chen Para­me­tern abhän­gig ist. Dazu muss ich die Hebel­ge­set­ze kennen.

Die Abbil­dung zeigt die mög­li­chen Bewe­gungs­ma­xi­ma in den Gelen­ken der Extre­mi­tä­ten. In der Null-Stel­lung hat das Gelenk den sta­bils­ten Zustand und soll­te sich mög­lichst in die­ser Stel­lung befin­den, wenn es im sta­bi­li­sie­ren­den und nicht im bewe­gen­den Bereich des Kör­pers liegt. Das bedeu­tet, dass bei Bewe­gung in einem Gelenk sich das Punk­tum fixum in der Neu­tral­stel­lung befin­den soll­te, um selbst so wenig wie mög­lich Kraft für die Sta­bi­li­sie­rung auf­brin­gen zu müssen.


Die fol­gen­den Abbil­dun­gen zei­gen ver­schie­de­ne Bei­spie­le, wie man es falsch und wie man es rich­tig macht

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen dazu gibt es in einem Infor­ma­ti­ons­heft der BGHW: “BGHW kom­pakt: Heben und Tra­gen”. Wenn man genau hin sieht, dann kann man eini­ge Prin­zi­pi­en erkennen:

  1. aus den Ober­schen­keln und nicht aus der LWS her­aus beim Heben die Kraft aufwenden
  2. schwe­re Gegen­stän­de mit zwei Per­so­nen tragen
  3. Gegen­stän­de nah am Kör­per tra­gen (kur­zer Lastarm)
  4. beim Tra­gen beid­sei­tig glei­ches Gewicht
  5. nicht in der end­gra­di­gen Wir­bel­säu­len­ro­ta­ti­on Heben oder Gewich­te bewegen
  6. Schie­ben statt Ziehen
  7. Hilfs­mit­tel nut­zen (z.B. Sackkarre)

Einrichten von ergonomischen Arbeitsplätzen

Büroarbeitsplatz

Büro­ar­beits­plätz­te haben sich im Ver­lauf der Jah­re deut­lich ver­än­dert. Heu­te ist in grö­ße­ren Betrie­ben eher die Ten­denz hin zum Groß­raum­bü­ro und weg vom Ein­zel­bü­ro. In der

macht die Berufs­ge­nos­sen­schaft Vor­schlä­ge zur Ein­rich­tung von Büro­ar­beits­plät­ze unter Berück­sich­ti­gung gesetz­li­cher Vor­ga­ben wie z.B. der Arbeits­stät­ten­ver­ord­nung. Im Ein­zel­nen möch­te ich die wich­tigs­ten Ele­men­te vorstellen.


Normen des Bildschirmarbeitsplatzes

Die Abbil­dung aus der Vor­schrift ist etwas unglück­lich. Bei Ein­stel­lung des Moni­tors soll die Augen­hö­he dem Ober­rand des Moni­tors ent­spre­chen. Das gilt sowohl beim Sitz- als auch beim Steh­ar­beits­platz. Ergo­no­misch macht es Sinn, bei der Arbeit zwi­schen Ste­hen und Sit­zen zu wech­seln, zumal höhen­ver­stell­ba­re Schreib­ti­sche — die immer mehr zum Stan­dard wer­den — es auch ermög­li­chen. Der ver­ti­ka­le Blick­win­kel hängt von der Grö­ße des Moni­tors ab und soll­te 40 — 45° betragen.

Gesichts­feld, Blick­feld und Umblick­feld sind bei der Bild­schirm­ent­fer­nung zu berück­sich­ti­gen. Davon hängt letzt­end­lich der Abstand und die Moni­tor­grö­ße ab. Die Stan­dard­bild­schir­me sind heu­te 27″. Wei­ter­hin muss man dann auch beach­ten, dass beim Ein­satz von zwei Bild­schir­men sich auch das Blick­feld ver­grö­ßert. Je wei­ter man die Bild­schirm­ent­fer­nung wählt umso grö­ßer muss dann auch die Schrift­grö­ße sein. Man kommt hier an Gren­zen und muss sich letzt­end­lich für einen Kom­pro­miss ent­schei­den — aus­rei­chen­de Schrift­grö­ße bei akzep­ta­blem Blick­feld. Die Greif­räu­me sind so bemes­sen, dass man alle Gegen­stän­de auf dem Schreib­tisch erreicht, ohne sich “ver­bie­gen” zu müssen.


Bürostuhl


In mei­nen Augen ist der Büro­stuhl das wesent­lichs­te Ele­ment des Büro­ar­beits­plat­zes, wenn man an Prä­ven­ti­on gegen Erkran­kun­gen des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes denkt. Es gibt eine brei­te Viel­falt an Büro­stüh­len, die auf dem Papier alle die Nor­men erfül­len und den­noch gro­ße Unter­schie­de bie­ten. Ich nut­ze seit über 20 Jah­ren den Axia von BMA und hal­te ihn immer noch für den bes­ten Bürostuhl.

Ein guter Büro­stuhl wird erst dann gut, wenn er rich­tig ein­ge­stellt wird. Nach mei­nen Erfah­run­gen aus unzäh­li­gen Bege­hun­gen von Büro­ar­beits­plät­zen sind über 80 % der Büro­stüh­le im Aus­lie­fe­rungs­zu­stand, d.h. der Benut­zer hat noch nie Hand angelegt.



Beleuchtung

Rich­ti­ge Beleuch­tung ist häu­fig ein Pro­blem und bei der Aus­stat­tung der Räum­lich­kei­ten soll­te man sich über­le­gen, wie die Büro­mö­bel gestellt wer­den und dem­entspre­chend die Leuch­ten anzu­brin­gen. Die Leucht­stär­ken für die jewei­li­gen Bereich sind in den Bil­dern angegeben

Wich­tig ist auch, dass man durch Ober­licht nicht geblen­det wird und dass Tages­licht­quel­len wie Fens­ter seit­lich zum Schreib­tisch ange­ord­net sind, so dass man das Licht nicht von vorn (Direkt­blen­dung) oder im Rücken (Spie­gel­blen­dung) hat. Wenn es nicht zu ver­wirk­li­chen ist, dann muss man durch Vor­hän­ge vor Blen­dung schützen.


Lärm

Bei kon­zen­trier­ter Arbeit darf der Lärm­pe­gel 55dB nicht über­schrei­ten. In Groß­raum­bü­ros ist das häu­fig ein Pro­blem, da ins­be­son­de­re bei älte­ren Men­schen mit schlech­ter wer­den­dem Gehör Umge­bungs­ge­räu­sche dazu füh­ren, dass sie auto­ma­tisch lau­ter spre­chen, um sich selbst zu ver­ste­hen und dadurch zur “Lärm­quel­le” wer­den. Hier ist ein ange­pass­ter dop­pel­sei­ti­ger Gehör­schutz (Oto­plas­ti­ken) mit ein­ge­bau­tem Head­set zum Tele­fo­nie­ren zu emp­feh­len. Lärm­min­de­rungs­maß­nah­men in Groß­raum­bü­ros sind schwer zu ver­wirk­li­chen, da sich der Schall­druck erst durch Refle­xi­on und Sum­ma­ti­on der Schall­wel­len auf­baut und eigent­lich schon an der ers­ten Refle­xi­ons­stel­le resor­biert wer­den müss­te. Ich hal­te die ers­te Lösung für besser.


Raumklima

Die Norm­wer­te des emp­foh­le­nen Raum­kli­mas sind im Bild ange­ge­ben. Bei der Raum­tem­pe­ra­tur gibt es im Emp­fin­den der Mit­ar­bei­ter deut­li­che Unter­schie­de. Hier muss man einen Kom­pro­miss fin­den. Nach mei­nem Emp­fin­den und Erfah­run­gen sind 20° C bei wenig Bewe­gung und Sit­zen über Stun­den deut­lich zu kalt.


Beispiellösung eines Großraumbüros

Seit Okto­ber letz­ten Jah­res habe ich die arbeits­me­di­zi­ni­sche Betreu­ung der Fir­ma Bröt­je Han­del Hes­sen KG über­nom­men. Die Nie­der­las­sung hat Aus­stel­lungs- und Ver­kaufs­räu­me sowie ein Groß­raum­bü­ro für Auf­trags­ab­wick­lung und Kun­den­be­ra­tung. In die­sem Jahr wird die Pla­nung der Neu­ge­stal­tung der Büro­räu­me umge­setzt. In mei­nen Augen bei­spiel­haft ent­steht hier ein moder­nes Groß­raum­bü­ro, was alle gesetz­li­chen Ansprü­che mehr als erfüllt. Die Mit­ar­bei­ter wur­den bei der Gestal­tung betei­ligt und konn­ten ihre Ideen und Wün­sche ein­brin­gen, was eine hohe Iden­ti­fi­ka­ti­on der Mit­ar­bei­ter mit dem neu­en Büro erwar­ten lässt. 

Im Ein­zel­nen noch­mal die wesent­li­chen Merkmale

  1. Arbeits­platz­ein­heit mit höhen­ver­stell­ba­rem Schreib­tisch und zwei Moni­to­ren und Head­sets zum Telefonieren
  2. Abgren­zung zu den Nach­bar­ar­beits­plät­zen durch Büro­schrän­ke auf der einen und eine Sicht­schutz­ab­tren­nung auf der ande­ren Sei­te zur Lärmminderung
  3. schall­ab­sor­bie­ren­des Mate­ri­al in den Decken
  4. Beleuch­tung über den Schreibtischen
  5. Fens­ter­front über­wie­gend par­al­lel zur Schreib­tisch­a­n­ord­nung, ansons­ten Abdun­ke­lung der Fens­ter durch Lamel­len­sto­res möglich
  6. Kli­ma­an­la­ge
  7. abge­kap­sel­te Büro­ein­heit von 4 Arbeits­plät­zen für Arbeit mit hohem Konzentrationsaufwand
  8. Bespre­chungs­raum
  9. Bespre­chungs­ein­heit an einem Büro­platz mit höhen­ver­stell­ba­rem Rundtisch

Produktionsarbeitsplatz


Auch bei Pro­duk­ti­ons­ar­beits­plät­zen hat sich in den Jah­ren viel ver­än­dert. Merk­ma­le wie Sitz-/Steh­ar­beits­plät­ze, Beleuch­tung, Balan­cer als Werk­zeug­hal­ter (z.B. Schrau­ber, Nie­ter etc.), ergo­no­mi­scher Mate­ri­al­zu­fluß und Werk­stück­ab­trans­port zeich­nen die­se Arbeits­platz­lö­sun­gen aus. Auch an Behin­der­te (z.B. Roll­stuhl­fah­rer) wird dabei gedacht.

In einem kur­zen Film wird so ein Arbeits­platz im Rah­men eines Gesund­heits­ta­ges der Fir­ma vor­ge­stellt. Bit­te dazu auf das unte­re Bild klicken.


Hilfsmittel zur Verbesserung der Ergonomie

Exo-Skelett

Eine der jün­ge­ren Errun­gen­schaf­ten in der Arbeits­welt zum The­ma Ergo­no­mie ist das Exo­ske­letts. Aus den anfangs sehr sper­ri­gen und unhand­li­chen Hilfs­mit­teln sind inzwi­schen sehr brauch­ba­res Uten­si­li­en geworden. 

Beispiel Bücken:

Bei der Abwärts­be­we­gung wer­den Bän­der längs der Wir­bel­säu­le vor­ge­spannt, die dann die Auf­wärts­be­we­gung unter­stüt­zen. Ener­ge­tisch betrach­tet wird bei der Abwärts­be­we­gung mit Unter­stüt­zung der Gra­vi­ta­ti­ons­kraft die kine­ti­sche Ener­gie teil­wei­se in poten­ti­el­le Ener­gie umge­wan­delt. Bei der Auf­wärts­be­we­gung wird die poten­ti­el­le Ener­gie der gespann­ten Bän­der wie­der in kine­ti­sche Ener­gie umge­wan­delt und redu­ziert somit die auf­zu­brin­gen­de kine­ti­sche Ener­gie der Mus­kel­kraft ent­ge­gen der Gra­vi­ta­ti­on. Die Vor­span­nung kann je nach Bedarf regu­liert und bei Nicht­ge­brauch (z.B. auf­recht Gehen) auch ganz her­aus­ge­nom­men wer­den, damit mit sie bei die­ser Bewe­gungs­art nicht stört. 

Dynami­sche Hebeaufgabe

Sta­ti­sche Hebeaufgabe

Ermü­dungs­kenn­wert

Hal­te­dau­er

Die Redu­zie­rung des Kraft­auf­wan­des ist in den ein­zel­nen Berei­chen unter­schied­lich, aber gera­de was die Ermü­dung und Hal­te­dau­er angeht sehr bemer­kens­wert. Gene­rell und ins­bes­ode­re bei Men­schen mit schon ein­ge­schränk­ter Leis­tung auf­grund von Erkran­kun­gen im Bewe­gungs­ap­pa­rat sind Exo­ske­letts zu emp­feh­len. Das Ein­zi­ge, was von einer Beschaf­fung noch abhält ist der doch sehr hohe Preis. Das kann sich aber durch­aus noch ändern, wenn die­ser Metho­de der Durch­bruch in der Arbeits­welt gelin­gen soll­te und ein Wett­be­werb durch eine anstei­gen­de Zahl der Anbie­ter entsteht.

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